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Django (Jean Baptiste) Reinhardt
Geb. 23.1.1910 Leberchies, Belgien
Gest. 6.5.1953 Samois-sur- Seine, Frankreich. |
Die vieldiskutierte Frage, ob Django Reinhardt, der erste Europäer mit
Einfluss auf die stilistische Entwicklung eines Jazzinstruments, ein regelrechter
Jazzmusiker wie etwa Louis Armstrong oder Charlie Parker gewesen sei, erweist sich
angesichts seiner Originalität als zweitrangig und wird von ernsthaften Kollegen, wenn
überhaupt, nur respektvoll und mit dem Hinweis auf seine Unvergleichbarkeit oder auf die
merkwürdige rhythmische Steifheit seines begleiterischen Kontextes verneint. Barney Kessel zum Beispiel, der Django Reinhardt als frühesten
jazzorientierten Solisten von Bedeutung bezeichnet hat, differenziert: "Er spielte
nicht, was ich Jazz nennen würde, obwohl ich meine, da er ein Meister der Improvisation
war. Kein Improvisator im Jazzrahmen, sondern im Rahmen seines eigenen Zigeuner-
Hintergrundes.." Ornette Coleman definiert seinen zeitlosen Beitrag als reine Musik,
nicht nur Form, und Duke Ellington zählt den Gitarristen in seiner Autobiographie zu den
wenigen wirklich einzigartigen Begabungen unserer Musik. Der Konzertgitarrist Julian Bream
verdeutlicht Reinhardts Rang als gitarristisches, in den Grenzen von Musikgattungen kaum
fixierbares Genie und beschreibt ihn als jemand, den ich mehr als alle anderen
Gitarristen, inklusive - das klingt wohl überraschend - (Andrés) Segovia, bewundere.
Stephane Grappelli, mit dem Django Reinhardt in den dreissiger Jahren in Improvisationen
und von dem notenunkundigen Gitarristen gewissermassen erspielten Meister-Kompositionen
wie u. a. Nuages (1940), Daphne (1937) oder Melodie au Crepuscule (1943) mit der
Verschmelzung von Zigeunermusik, französischer Folklore und Swing-Jazz eine völlig neue
Musik geschaffen hat, beschreibt den Sachverhalt schlicht: Alle Jazzmusiker können
improvisieren, aber nur die wirklich guten bringen Melodien hervor, die voll origineller,
überraschender Wendungen sind und doch dank ihres vollkommen logischen Aufbaus ein
einheitliches Ganzes ergeben. So ein Könner war Django. Reinhardts stilprägende Technik
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Handicap, das für Gitarristen normalerweise
das Aus bedeuten würde: der Verkrüppelung seiner Greifhand als Folge eines nächtlichen
Wohnwagenbrandes am 2. November 1928. Sehnenverkürzungen im dritten und vierten Finger
zwangen ihn zur Entwicklung einer eigenen Technik, aber auch zur musikalischen Selektion
besonders im Bereich der Harmonik. Alexander Schmitz und Peter Maier fassen die
Konsequenzen in ihrer hervorragenden Biographie Django Reinhardt (Oreos) zusammen:
Insgesamt bedeutete das für Django den Zwang, seine eigenen Fingersätze so eng wie
möglich zu halten, sofern dies möglich war (obwohl die Streckfähigkeit zwischen dem
gesunden und dem gelähmten Fingerpaar enorm war). Der Gitarrist Diz Disley, stilistischer
Nachfahre Reinhardts und häufig auch Partner Stephane Grappellis, weist in einer Analyse
daraufhin, dass sein grosses Vorbild für schwierige Akkorde durchaus auch die gelähmten
Finger, zuweilen sogar den Daumen benutzt und eine eigenartige Technik des überkreuzens
der gesunden Finger entwickelt habe. Wenn er nicht drei Noten hintereinander auf derselben
Saite zu spielen hatte, sprang der erste Finger auf die Saite darunter, glitt sogleich auf
die folgende, während der Mittelfinger den dritten drückte. Seine schnellen
chromatischen - sofern er sie nicht auf unterschiedlichen Saiten in der ersten Position zu
greifen hatte - mussten mit drei separat auf dem Griffbrett... greifenden Fingern gespielt
werden; musste er sie aber auf ein und derselben Saite spielen, dann machte Django das
nach Glissando-Art mit einem Finger. Wer immer seinen Stil beschreibt, wird dieses
persönliche Verzierungselement erwähnen, das Gitarristen - laut Irving Ashby - in jenen
Tagen das Tremolo-Gliss nannten. Bis heute versuchen Gitarristen, es bis zu dem Masse zu
perfektionieren, in dem Django es beherrscht hatte...¯ An weiteren Elementen, die seinen
farbenreichen Personalstil geprägt haben und zum Teil in das verbindliche Vokabular
moderner Jazz-Gitarristik eingeflossen sind, seien hervorgehoben: die virtuose
Vibrato-Technik, das spannungsvolle Bending von Saiten zur Erzielung von Dirty Tones,
ferner die Bevorzugung von Molltonarten, reiche chromatische Ausstattung in Harmonik und
Melodik, kaskadenhafte Arpeggios, Synkopierung, blitzartige Upstroke-Akzentuierungen und
vor allem die später für Wes Montgomery typischen
Oktavgänge, die Reinhardt jedoch nicht als Prinzip, sondern zur gelegentlichen
Ausdruckssteigerung benutzt: Django war der erste Gitarrist überhaupt, den ich Oktaven
spielen hörte. Seine langen, fliessenden Linien mit den aufblitzenden Eruptionen ergaben
faszinierende Chorusse, erklärt dazu der Gitarrist Sal Salvador,
und sein Kollege Larry Coryell schwärmt: Django konnte durch die Harmoniewechsel
hindurchswingen und regelrecht in der Bridge explodieren. Wenn er zum Hauptthema
zurückkam, ging er immer noch weiter auf ein noch erregenderes Niveau, mit Saiten-Bends
und Oktaven, die jenes extraspezielle Hourish brachten, das Django einmalig machte...
Django repräsentiert die Universität moderner improvisierter Musik. Einen neuen Django
wird es niemals mehr geben. Der Gitarrist, dessen Nonkonformismus durchaus als eine Art
europäisches Pendant zur afroamerikanischen Hipness der oralen Tradition gesehen werden
darf, hat die Sprache der Jazzgitarre nach Eddie Lang und neben Charlie
Christian entscheidend beeinflusst, wenngleich eine Reinhardt-Schule im engeren Sinne
zunächst nur zögernd und mit Instrumentalisten wie Diz Disley oder Pierre Cavalli fast
ausschliesslich im Umfeld Stephane Grappellis entstand. Spätestens mit dem Auftauchen von
Musikern wie Marc Fosset, Boulou Ferré, Häns'che Weiss und Bireli Lagrene oder Gruppen
wie La Romanderie und Hot Club da Sinti wurde der rote Faden dieser Tradition erkennbar,
der auch das Spiel stilistisch eigenständigerer Improvisatoren entschieden durchwirkt,
darunter René Thomas, Christian Escoude, Philip Catherine, Larry Coryell, Al Di Meola,
John McLaughlin, Pat Martino und auch der Mandolinenspieler David Grisman. Django
Reinhardt wurde im belgischen Winterquartier seiner Familie als Sohn einer Tänzerin und
eines Musikers geboren. Seine Kindheit verbrachte er auf Achse im Zigeunerwagen seiner
Mutter Négros, die jedoch 1916 am Stadtrand von Paris einen Stellplatz auf Dauer fand.
1922 erhielt Django von seinem Nachbarn Radot ein sechssaitiges Banjo, das er in kür-
zester Zeit beherrschte, in Tanzsälen, Bars und auf der Strasse spielte und 1927 gegen
eine Gitarre eintauschte. Der Wohnwagenbrand, bei dem er und seine erste Ehefrau fast
umgekommen wären, stürzte ihn in tiefe Depressionen. Erst 1930 war Django Reinhardt
wieder in der Lage zu spielen, zunächst auf der Strasse, wenig später - nun deutlich vom
Jazz beeinflusst - gelegentlich in Bars mit Jazzmusikern oder mit seinem Bruder Joseph
(g). Er lernte nun Persönlichkeiten wie Jean Cocteau, Andrés Segovia und 1932 auch
Stephane Grappelli kennen, der ihm das Schreiben beibrachte und bessere Engagements
beschaffte. Django Reinhardt spielte nun mit dem Geiger sowohl in der Band des
Saxophonisten André Ekyan als auch im Orchester Michel Warlops, gastierte 1934 in Londen
und wurde Mitglied des neugegründeten Hot Club de France. Mit Stephane Grappelli stellte
er für das Eröffnungskonzert in der Ecole Normale eine Band zusammen, die - nach
Umbesetzungen - als Quintette du Hotclub de France in die Jazzgeschichte einging: mit
Roger Chaput (g), Joseph Reinhardt (g) und Lonis Voln (b) als Rhythmusgruppe. Ersten
Aufnahmen - darunter Dinah, Tiger Rag und Lady Be Good - folgten ganze Einspielungsserien
auch in anderen Besetzungen, Tourneen in Frankreich, Spanien, Holland, Belgien, England
und Skandinavien sowie Konzerte und Aufnahmen mit Gastsolisten wie Coleman Hawkins, Barney
Bigard, Dicky Wells, Rex Stewart, Benny Carter, Bill Coleman, Eddie South und - nur im Duo
mit Django - Duke Ellington, bis die Formation zerbrach, als Grappelli 1939 bei
Kriegsausbruch nach einem Gastspiel in London blieb. Mit einem neuen Quintett, dem ausser
Bruder Joseph Hubert Rostaing (cl), Pierre Foaud (dr) und Francis Luca (b) angehörten,
konnte Django Reinhardt 1940/41 zunächst an die Erfolge anknüpfen, verlegte sich dann
weitgehend aber auf syniphonische Versuche, darunter seinen Bolero, und die Malerei.
Gelegentliche Auftritte gab es in wechselnden Besetzungen. Mit Kriegsende und dem Einzug
der Alliierten belebte sich das Interesse am Jazz zwar wieder, doch der Gitarrist trat
selten auf. Eine USA-Tournee mit dem Orchester Duke Ellingtons im November 1946 brachte
ihm wegen seiner Unzuverlässigkeit viel Kritik ein. Reinhardt experimentierte nun häufig
mit elektrisch verstärkten Gitarren, spielte erneut mit Grappelli (u. a. 1948 England)
oder Rostaing (u. a. 1947 Belgien), trat aber auch u. a. mit Dizzy Gillespie (1948 und
1953), Ekyan (1950), Roger Guerin, Hubert Fol, Martial Selal und Claude Bolling auf. Er
hatte sich zwischen Tourneen in den letzten Jahren immer wieder für längere Perioden
zurückgezogen und der Malerei oder dem Angeln gewidmet, oft auch zwangsweise, weil
Sidemen, seiner Sprungliaftigkeit überdrüssig, ausgestiegen waren. Django Reinhardt
starb nach einer Schweiz-Tournee an den Folgen einer Gehirnblutung. Seine Musik, der John
Lewis unter dem Eindruck der Todesnachricht mit seiner Komposition Django ein Denkmal
gesetzt hat, ist dokumentiert in Hunderten von Einspielungen, veröffentlicht zumeist in
wechselnden LP-Zusammenstellungen unter Titeln wie Djangology, Django Reinhardt & The
Hot Club of France, Django Reinhardt & His American Friends etc. Unter den
publizistischen Arbeiten über den Gitarristen ragen die Biographien von Charles Delaunay
und Schmitz / Maier hervor.